Lenka Reinerová - die letzte deutschsprachige Autorin aus Prag
Franz Kafka, Franz Werfel, Reiner Maria Rilke oder Gustav Meyrink sind weltbekannte Namen der Prager deutschen Literatur und erwecken eine nostalgische Erinnerung an das gute alte Prag der Österreichisch-ungarischen Monarchie und der ersten Tschechoslowakischen Republik. Doch noch vor Kurzem konnte man in dem Stadtviertel Smíchov wahrscheinlich der letzten Prager deutschsprachigen Autorin Lenka Reinerová begegnen. Dieses Jahr waren es 105 Jahre von ihrer Geburt. Die 2008 mit 92 Jahren verstorbene Schriftstellerin erlebte das ganze 20. Jahrhundert mit seinen Umschwüngen und Peripetien, die sie in ihren Romanen aufzeichnete und ihre eigene Lebensgeschichte könnte zu einem Roman werden.
Lenka Reinerová wurde am 17. Mai 1916 in eine tschechisch-deutsch-jüdische Familie in Karlín geboren, damals war Karlín noch eine Vorstadt Prags, wo vor allem arme Arbeiter unterschiedlicher Fabriken wohnten. Arme Verhältnisse begleiteten sie das ganze Leben, mit fast sechzehn Jahren musste sie wegen der herrschenden Wirtschaftskrise das Stephansgymnasium in der Neustadt in der Nähe des Wenzelsplatzes verlassen und ihren Lebensunterhalt selbst verdienen. Sie arbeitete im Büro der Papierfirma Oskar Steins mit Jaroslav Foglar, einem zukünftigen Star der tschechischen Literatur für Kinder und Jugendliche. Neben der Arbeit schuf Lenka Reinerová ihre ersten Gedichte. Ihr erstes Gedicht lies Rudolf Fuchs in der berühmten deutschen Zeitung Prager Tagblatt veröffentlichen. In den dreißigen Jahren arbeitete sie für die Arbeiter Illustrierte Zeitung, die für Emigranten herausgegeben wurde, die aus dem Dritten Reich nach Prag und später weiter geflüchtet sind.
Anfang März 1939 reiste sie vom Masaryk Bahnhof dienstlich nach Budapest ab, zum Bahnhof begleitete sie ihre Mutter und ihre Schwester, von dem Zugfenster hat sie sie zum letzten Mal gesehen. Beide sowie ihre ganze Familie kamen in Theresienstadt und Auschwitz ums Leben. Lenka Reinerová ist es gelungen erstmal nach Paris zu fliehen, wo sie im selben Hotel wie Egon Erwin Kisch wohnte. Egon Erwin Kisch kannte sie schon von Prag, wo sie ihn zum ersten Mal im Café Metro traf und da sie beide in der Melantrichstraße nicht weit vom Altstädter Ring wohnten und sich gleich am nächsten Morgen auf der Straße begegneten, musste die neuzehnjährige Lenka mit dem "rasenden Reporter" gleich Kaffeetrinken gehen. Nach Verhaftung im September 1939 verbrachte sie lange Monate in unterschiedlichen Gefängnissen und Flüchtlingslagern, bis es ihr endlich 1941 mithilfe ihrer Freunde geglückt ist nach Mexiko zu fliehen. Hier arbeitete sie auf der Botschaft der tschechoslowakischen Exilregierung und heiratete den jugoslawischen Arzt Theodor Balk, der unter anderem auch Journalist und Autor war.
Nach dem Zweiten Weltkrieg lebten sie eine kurze Zeit in Belgrad, wo auch ihre Tochter Anna geboren wurde, die heute auch eine Autorin und anerkannte Psychotherapeutin in London ist. Lenkas Mann ist damals schwer erkrankt worden und wegen besserer medizinischer Pflege in der Tschechoslowakei ist die Familie wieder nach Prag umgezogen. Obwohl sie seit den dreißigen Jahren Mitgliederin der Kommunistischen Partei war, verbrachte sie in den Jahren 1952 - 1953 fünfzehn Monate in der kommunistischen Untersuchungshaft. Grund dafür wurde ihr niemals mitgeteilt. In derselben Zeit erfuhr sie auch eine angstjagende Diagnose - Krebs, mit dem sie nächste 50 Jahre lebte und kämpfte. Während der sechziger Jahre engagierte sie sich wieder politisch, tritt auf Schriftstellerversammlungen auf, wofür sie nach der Sowjetokkupation mit Veröffentlichungsverbot bestraft wurde. Die meisten ihrer Bücher wurden somit zuerst in Deutschland herausgegeben und erst an der Jahrtausendwende ins Tschechische übersetzt.
2004 gründete sie mit Kurt Krolop und František Černý gelungen das Prager Literaturhaus deutschsprachiger Autoren, das sich darum bemüht die deutschsprachige Literatur aus Böhmen, Mähren und Schlesien zu popularisieren.
Lenka Reinerová ist am 27. Juni 2008 gestorben. Für ihr Engagement und Werk bekam sie mehrere Auszeichnungen wie den Schiller-Ring (1999), Goethe-Medaille (2003) oder eine Staatsauszeichnung die Verdienstmedaille vom Präsidenten Václav Havel (2001). Ihren Optimismus und Energie konnte man bis ihr Ende bewundern. Ihr Motto war es "Blos kein Selbstmitleid". Ihr Leben sollte uns daran erinnern, dass die Aggressivität des Rassismus, Xenophobie und Totalität nicht verschwunden ist und obwohl sie eine Zeitlang schläft, kann immer wieder aufwachen.
Da ihr Werk starke autobiographische Züge trägt erfährt man noch viel mehr über Prag, die Prager Cafés, Gesellschaft aber auch z. B. der schwierigen Flucht aus Europa in ihren Büchern wie Das Traumcafé einer Pragerin, Zu Hause in Prag - manchmal auch anderswo oder Närrisches Prag.
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